Matthias Jaun, Consultant
matthias.jaun@amstutz.partners
2. April 2023
Ein Experte gewährt Einblicke
Faszination Videomarketing
Am Abend des 3. Novembers 1956 reiben sich viele in der Stube vor ihren klobigen Kisten überrascht die Augen. Ein zänkisches Paar, ein Fleck auf der perlweissen Tischdecke und dann die Rettung: «Persil, und nichts anderes». Proklamiert von Schauspieler Beppo Brem nach beinahe einer Minute Werbespot. Der erste im deutschsprachigen Fernsehen – und die Resonanz ist riesig.
Zur Person
Martin Zwanzger ist seit 1997 in der Filmbranche tätig und ein erfahrener Spezialist in der Postproduktion. Seine Effekte kennt man aus «Die Chroniken von Narnia», «300» oder «Resident Evil». Im Bereich des Videomarketings realisiert und verantwortet er als Regisseur und Produzent Filme für namhafte Marken.
Martin, bei manchen Marketingvideos wird ja gerne der Wunsch nach «Hollywood» geäussert. Bei einigen Produktionen der selbsterkorenen Traumfabrik konntest du tatsächlich auch mitwirken. Wie viel «Hollywood» steckt also in Imagefilmen, Produktvideos und Co.?
Das hat sich sehr geändert. Früher war «Hollywood» auch mit einer entsprechend teuren Produktion verbunden – das heisst, es war fast nur grossen Unternehmen vorbehalten. Seit der Einführung der Digitalkameras kriegt man diesen Look aber auch mit einfacheren Mitteln hin. Dank Tiefenschärfe und einem hohen Kontrastverhältnis kommen sogar günstig realisierte Marketingvideos teilweise an dieses Level ran. Mal abgesehen davon, dass Brad Pitt einmal durch das Bild läuft.
Du erwähnst es: Seit deinem Einstieg in die Filmbranche vor der Jahrtausendwende hat sich merklich was getan. Wie hast du die Entwicklungen im Videomarketing miterlebt?
Um die Jahrtausendwende war ich hier in Nürnberg der Einzige, der in einer 4K-Auflösung arbeitete. Für die deutsche Adaption von «Lara Croft: Tomb Raider – die Wiege des Lebens» habe ich damals eine Sequenz in dieser Auflösung bearbeitet. Unterdessen gehört dies zum Standard und man kann praktisch bereits mit iMovie ein 4K-Video bearbeiten. Mit der höheren Anzahl von Anbietern war dann auch ein gewisser Preisverfall in unserer Branche zu erkennen. Das heisst, während die Technik billiger und die Qualität besser wurde, brauchte es auf unserer Seite dann mehr Durchsetzungsvermögen und ein bisschen Ellbogeneinsatz (lächelt).
Dank Smartphones und sozialen Medien dominieren heute grösstenteils Videoinhalte den Datenverkehr. Weshalb ist das Medium Video so populär? Und bleibt das auch so?
Wie gesagt, früher waren professionelle Aufnahmen automatisch mit grossem Aufwand verbunden. Denn wie wollte man mit den damaligen kleinen Olympus-Fotoapparaten gute Fotos – geschweige denn Videos – machen? Und heute hat man bereits mit einem Smartphone viele Möglichkeiten, einzigartige Aufnahmen zu machen und sogleich zu veröffentlichen. Als erfolgreicher Influencer kann man also mit relativ einfachen Mitteln auf Plattformen wie Instagram oder TikTok richtig gut Geld verdienen, eine grosse Reichweite erzielen und einen erheblichen Einfluss auf Follower ausüben. Es ist augenfällig: Videos sind einfach zu produzieren und einfach zu konsumieren. Und das wird sich in den nächsten Jahren nicht grundlegend ändern.
Wir Marketers sind nicht alle Influencer aber trotzdem alle ein wenig Regisseure oder Produzenten. Ein Marketingvideo ist ruckzuck selbst gefilmt, bearbeitet und publiziert. Ganz nach der Devise: semiprofessionell, dafür authentisch. Gehören im Marketing aufwendig und hochprofessionell produzierte Videos bald schon der Vergangenheit an?
Es gibt klare Unterschiede zwischen Smartphone-Aufnahmen und solchen, die von Profis gemacht wurden. Smartphone-Fotos sehen beispielsweise auf dem Bildschirm oder auf einer Website ganz ordentlich aus. Im Print-Bereich sind solche Fotos aber schnell ungeeignet. Bei den Videos sind die Aufnahmen mit Smartphones unterdessen sehr gut geworden. Da gibt es ja grosse Smartphone-Hersteller, die ihre Demo-Videos nur mit ihren eigenen Geräten filmen. Aber auch hier hat man die Problematik, dass bei grösseren Screens qualitative Mängel wie beispielsweise künstliche Kanten sichtbar werden. Für hochwertige Aufnahmen braucht es gute (und grössere) Objektive. Die «Authentizität» mit semiprofessionellen Aufnahmen ist ein schönes und gutes Stilmittel – ich bin aber der Meinung, dass es «Hochglanz»-Aufnahmen nach wie vor braucht.
«Leider funktioniert in der Theorie vieles nicht so wie in der Praxis. Aus Erfahrung kann ich also sagen, dass es immer von Vorteil ist, die Filmpartner möglichst früh oder bestenfalls von Anfang an zu involvieren.»
Genau solche «Hochglanz»-Produktionen scheuen aber viele Marketers. Was sind nach deiner Erfahrung die Gründe dafür?
Sicher wegen des Geldes. Aber nicht nur: Viele Unternehmen bevorzugen heutzutage einen authentischen Look. Es soll aussehen, als ob man einfach draufhält. Und da kann es ja problemlos das Handy oder eine kleine Spiegelreflex-Kamera sein. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf verzichten dann viele auf die teureren, professionellen Produktionen. Dies, obwohl solche authentische Produktionen ebenfalls erhebliche Kosten verursachen können.
Mal angenommen du hast ein Budget von CHF 30’000 für einen neuen Imagefilm zur Verfügung. Was erhalte ich da an Leistungen und mit welchem Endergebnis darf ich rechnen?
Das kommt ganz auf die gewünschten Inhalte an. Bei einem Imagefilm für eine Automarke braucht es beispielsweise Drohnen, gesperrte Strassen und aussergewöhnliche Drehorte. Da kommt man mit diesem Budget nicht weit. Wenn es aber zum Beispiel um die Herstellung eines Textmarkers geht, filmt man die Produktion, ergänzt schöne Grafiken und sorgt generell für einen guten Look. Dann ist es mit diesem Budget gut machbar. Mit «simpel Umsetzbarem» gibt es für CHF 30’000 einen schönen Imagefilm.
Und wie sah die teuerste oder aufwendigste Videoproduktion aus, die du realisiert hast? Welcher Dreh ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Im Rahmen einer grossen Fachmesse für Radiologie durfte ich vor ein paar Jahren für Siemens eine 270°-Projektion machen. Dort plante man eine durchgehende Szenerie – inklusive Sonnenverlauf über dem Messeort Chicago, spazierenden Personen, animierten Text-Einblendungen und vorbeifliegenden Vögeln – und dazwischen einige radiologische Grossgeräte. Alles in allem eine ziemliche Herausforderung. Und auch der Dreh hatte es in sich: knappe Anreise, ein wackeliger Michigansee für eine Aufnahme vom Boot aus und exakt übereinstimmende Blickwinkel für den Dreh am Tag und in der Nacht. Und das Ganze konnte ich anschliessend zu einer Komposition zusammenbauen. Animation und Technik waren für die damaligen Verhältnisse schon ziemlich heftig und das gesamte Projekt ist für mich immer noch eine prägende Erinnerung.
Es ist bekanntlich immer schön, in Erinnerungen zu schwelgen. Deshalb ein kleiner Abstecher zu deinem Mitwirken bei «richtigen» Filmen. Lässt du uns kurz mit einer Anekdote an einem deiner Highlights teilhaben?
Sehr spannend war der Film «Die Chroniken von Narnia – Prinz Kaspian von Narnia». Für eine 4‑sekündige Einstellung aus der Sequenz, in der Poseidon aus dem Wasser kommt und eine Armee vernichtet, arbeitete ich über zwei Monate am Compositing. Vereinfacht gesagt ging es um die Integration des Poseidons in das gedrehte Originalbild. Der Meeresgott bestand aus dutzenden 3D-generierten Wasser-Ebenen und musste mithilfe von hunderten (!) animierten Masken in eine Armee von Menschen mit Pferden und Waffen eingesetzt werden: Jedes einzelne Haar, jeder Huf, jeder Kopf und jedes Schwert musste zuerst einzeln maskiert werden, bevor Poseidon dann mit Wasser, Tropfen, Unschärfen, Sonneneinstrahlung etc. realistisch integriert werden konnte.
Ist es dieses Unberechenbare, was dich persönlich am Filmbusiness fasziniert?
Nicht nur. Ich bin ein Serien- und Filmfan der ersten Stunde. Früher waren es Bud Spencer-Filme später dann Hollywoodstreifen wie «Raumschiff Enterprise». Ich wusste also bereits während der Schulzeit, was ich dann einmal machen will. Bei einem Praktikum in einem filmtechnischen Betrieb wurde meine Leidenschaft endgültig entfacht. In meiner Studienzeit startete ich mit ersten Projekten und studierte bald schon nur noch nebenbei.
Zurück zum Videomarketing: Kannst du aus deinen Erfahrungen ein paar generelle Tipps und Tricks für Videoprojekte geben?
Ich musste auch schon – entschuldige, wenn ich das so sage – theoretischen «Gehirnquark» umsetzen. Und das ist ein Problem. Leider funktioniert in der Theorie vieles nicht so wie in der Praxis. Aus Erfahrung kann ich also sagen, dass es immer von Vorteil ist, die Filmpartner möglichst früh oder bestenfalls von Anfang an zu involvieren. Das ist eigentlich der wichtigste Punkt. Agiert man bei Videoprojekten nach diesem Workflow-Prinzip spart man sich mühsame und kostenintensive Leerläufe.
Hast du gerade auch ein paar konkrete Ratschläge für eine möglichst erfolgreiche Zusammenarbeit mit Experten im Video-Bereich?
Die Vorarbeit ist essentiell. In unserem Bereich kann man nur erfolgreich zusammenarbeiten, wenn frühzeitig und transparent kommuniziert wird. Alle sollen wissen, um was es geht. Und sobald dann ein konkretes Konzept oder ein spezifischer Plan steht, empfehle ich die Produktion auch konsequent danach umzusetzen. Anpassungen aus Unsicherheit heraus, sind selten gute Entscheidungen. Aus meiner Erfahrung kann ich auch davon abraten, zu korrigieren, bis der Arzt kommt. Während zwei, drei Korrekturläufe völlig in Ordnung sind, kann beispielsweise ein Projekt mit über zehn Korrekturläufen dann schnell scheitern.
Der Prozess von der Idee zum fertigen Video ist nicht zu unterschätzen. Gibt es Grundsätze?
Für den Gesamtprozess kann ich eine Empfehlung abgeben. Der Auftraggeber sagt zuerst, was er gerne möchte. Anschliessend macht er sich – oder eine Agentur – in Zusammenarbeit mit den Leuten, die das Video produzieren, Gedanken wie das ausschauen könnte. Danach ist bei Realfilmen eine Set-Begehung empfehlenswert. Mit den dort gemachten Fotos entwickelt man ein Storyboard und ergänzt bei Bedarf einen Layout-Sprecher. Das heisst, man erstellt ein komplettes Film-Layout nach einem standardisierten Vorprozess, bevor auch nur ein einziges Bild aufgenommen wird. Genau so arbeitet übrigens auch Hollywood – Stichworte hier wären PreViz oder Animatics. Mit einer guten Vorbereitung, entspricht auch das Endergebnis viel eher den Erwartungen. Selbstverständlich hat dies dann auch einen direkten Einfluss auf den Feedbackprozess und die Anzahl der Korrekturläufe.
Vom Video-Prozess zum Must-have für Unternehmen: dem Imagefilm. Wie gehst du solche Projekte an? Was empfiehlst du deinen Kunden, damit ihr Imagefilm erfolgreich wird?
Ein Imagefilm ist vom Grundbegriff her nur für das Image eines Unternehmens zuständig. Das heisst, bei einem Automobilhersteller kann man beispielsweise sogar auf ein Auto verzichten und sich «nur» auf Emotionen fokussieren. Viele sprechen fälschlicherweise von einem Imagefilm, wenn sie ein Video über ihr Unternehmen und dessen Kompetenzen planen, also eigentlich ein Corporate Film. Bei allen Marketingvideos kommt es ganz drauf an, was man mit dem Film erreichen will: Will man die Produkte oder Dienstleistungen zeigen? Neue Kunden gewinnen? Oder neue Mitarbeitende ansprechen? Die Definition von Sinn und Zweck des geplanten Films ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Ganz am Anfang lohnen sich auch Überlegungen bezüglich der Mehrfachnutzung. Die Formate an Messen, auf Websites oder für die sozialen Medien sind unterschiedlich – das Definieren der geplanten Distribution ist also vor Beginn der Produktion sinnvoll. Zusammengefasst: 50 Prozent der Arbeit ist die Vorbereitung. Und ohne die kann Videomarketing nicht erfolgreich sein.
«50 Prozent der Arbeit ist die Vorbereitung. Und ohne die kann Videomarketing nicht erfolgreich sein.»
Machen wir kurz einen Abstecher in den B2B-Bereich: Hat dort das Videomarketing spezielle Eigenschaften?
Grundsätzlich zeichnet sich der B2B-Bereich durch sachliche Informationsvermittlung aus – das ist auch bei Videos ersichtlich. Ich bin aber der Meinung, dass sich viele Leute in der Rolle als klassischer Business-Kunde langweilen. So produziere ich nun immer öfters für Kongresse oder Meetings sehr emotionale Intro-Videos, die sich stark von der restlichen Veranstaltung abheben. Auch bei B2B-Corporate-Filmen etabliert sich langsam aber sicher eine Art emotionaler Rahmen, der die Vermittlung von Informationen in einen übergeordneten, emotionalen Kontext stellt.
Nicht nur bei Corporate Filmen wird man vielfach mit der Frage des Videostils konfrontiert. Neben dem Realfilm sind verschiedenartige Animationen wie Legetrick oder 3D weitverbreitete Stile. Kannst du eine grobe Übersicht mit einer kurzen Beschreibung der gängigsten Animationsarten geben?
Die Gemeinsamkeit aller Arten ist, dass sie am Schluss des Tages an einem Computer zusammengebaut werden. Starten wir aber gleich mit den 3D-Animationen. Dort wäre die höchste Ausbaustufe Pixar (u.a. Toy Story), DreamWorks (u.a. Shrek) und Konsorten. Dann gibt es 2D-Animationen im Stile der klassischen Zeichentrickfilme von Walt Disney (u.a. Der König der Löwen) aber auch solche, welche in einem Vektorprogramm mit bestimmten Elementen animiert werden. Beim Legetrick – der sich gut für Erklärvideos eignet – filmt man mit einer Kamera beispielsweise von oben einen Tisch, wo dann mit dem «Lege-Stopp-Trick» verschiedene Sachen gezeigt werden. Reine Stopp-Trick-Animationen (Stop-Motion) leben auch von unbewegten Motiven, die aneinandergereiht werden. In dieser Art wird beispielsweise der bekannte Animationsfilm Wallace & Gromit produziert. Ähnlich wie der Lege-Trick funktioniert die Scribble-Animation: Kamera filmt von oben, es wird ein Bild in echt gezeichnet und später in zehnfacher Geschwindigkeit abgespielt. Neben den einzelnen Arten gibt es natürlich auch Kombinationen mit verschiedenen Animationen oder sogar mit Realfilm. Dort ist der Film «Looney Tunes: Back in Action» ein gutes Beispiel.
Mit welchem Videostil hast du die meisten Wow-Effekte ausgelöst? Weshalb?
Das kommt ganz auf die Thematik an. Jeder Stil hat seinen eigenen Reiz. Red Bull hat beispielsweise seit Jahren eine äusserst erfolgreiche Marketingvideo-Reihe unter dem Slogan «Red Bull verleiht Flügel», wo nur gezeichnet wird. Wow-Effekte kann man also nur bedingt planen, respektive sind sehr stark mit der jeweiligen Ausgangslage sowie der Idee hinter dem Video verbunden.
Schwenken wir zum Abschluss noch einmal vom Videomarketing zu Hollywood: Siehst du Gemeinsamkeiten?
Grundsätzlich ist es im Kleinen genauso wie im Grossen: Eine gute Story ist schon das halbe Geschäft. Denn alles nur auf Visuals zu setzen, bringt meistens nicht den gewünschten Effekt. Am Ende zählt die Story in Kombination mit der dazu passenden Ausführung.