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Yardena Malka, Project Manage­ment & Text
yardena.malka@amstutz.partners

15. März 2022

Home-Office to go

Ein Leben auf 16 Quadratmetern

Eine Bier­sorte wird zum Virus, Klo-Papier zu einer Währung und ich zum digi­talen Nomaden. Seit fünf Jahren arbeite ich bei Amstutz Part­ners als Projekt­lei­terin und Texterin, seit beinahe zwei Jahren gehe ich dieser Tätig­keit ausschliess­lich online nach – über die gesamte Schweiz und das angren­zende Ausland verteilt. Wo immer ich mit meinem rollenden Zuhause bin, da lebe und arbeite ich. Warum dieser Lebens­stil? Und wie vereine ich diesen unge­wöhn­li­chen Alltag mit einer Festanstellung?
Dem Kontrol­leur bietet sich ein skur­riles Bild: mit Passa­gieren gefüllte Vierer-Abteile in einem Inter­Regio am frühen Nach­mittag, an einem ganz normalen Arbeitstag. Bis anhin kannte er aufge­klappte Laptops, die dem Ruckeln des Zuges folgend auf den kleinen Plastik-Tischchen hin-und her ratterten. Nun gesellte sich jedoch noch der Rest des Büros hinzu: Einige hielten Bild­schirme in der Grösse eines Fern­se­hers auf ihrem Schoss, andere fein säuber­lich beschrif­tete Ordner, die aus maximal ausge­reizten Ikea-Taschen lugten und alle Arten von Schreibtisch-Organizern, hastig irgendwo dazwi­schen gequetscht. Es ist März 2020. Wie viele in diesem Abteil, streift auch mein Blick den Kontrol­leur nur flüchtig. Wir starren alle­samt auf die News-Feeds unserer Smart­phones: Pandemie, Lock­down, Home-Office-Pflicht – Worte, die damals noch auf den Magen schlugen. Schlag­worte, die heute Alltag sind.
Die Pandemie kata­pul­tierte uns alle vermehrt in die eigenen vier Wände. Und umso mehr Zeit ich da verbrachte, umso bewusster wurde mir all der Platz, den ich mit Sachen füllte, die ich nicht wirk­lich brauchte. All diese «Wenn dann Mal…»-Dinge, die seit Jahren auf den Wenn-Fall warteten. Ich empfand meine Wohnung als zu gross und zu starr. Ich suchte das Gefühl von Frei­heit und Selbst­be­stimmt­heit: Niemandem mehr Miete schulden, um Mitter­nacht laut Musik hören, meine Strom­kosten selbst kalku­lieren und laut auf den Boden stampfen können, wann immer es mir passt. Also löste ich meinen gesamten Haus­stand auf. Ich wollte mir den Luxus leisten, mit weniger zu leben. «Nomadin» nennt mich meine Familie mitt­ler­weile, «eine Aben­teu­rerin» bin ich für Freunde – «die Verrückte» für Fremde.
Mein Lieblings-Arbeitsplatz: direkt unter dem gross­zü­gigen Dach­fenster und mit dem Panorama, welches ich mir für den Tag gewünscht habe.

(All)tägliche Heraus­for­de­rungen

Januar 2022. Ein bunt ange­maltes Wohn­mobil steht mitten in den waadt­län­di­schen Bergen. Der Schnee reflek­tiert die aufge­hende Sonne im Panorama vor dem Küchen­fenster. Der Kaffee steht bereits auf dem Gasherd neben der warm werdenden Milch. Selbst ein Cappuc­cino ist in meinem neuen Leben kein Knopf­druck mehr, sondern Hand­ar­beit. Eine Einfach­heit, die Selbst­bestimmtheit erlaubt: Was immer ich bediene, könnte ich selbst­ständig repa­rieren oder austau­schen. Welche Ressourcen ich auch immer brauche, ich allein bin dafür verantwortlich.

Noch vor dem ersten Kaffee, habe ich den Schnee vom Dach geschippt und damit die Solar­zellen von ihrer Last befreit. Sie sind eine von drei Möglich­keiten, für meinen tägli­chen Bedarf Strom zu erzeugen und erlauben mir, mein rollendes Zuhause nach Belieben an einem schönen Ort zu parkieren, ganz ohne Ressourcen-Engpässe. Die zweite Möglich­keit ist der soge­nannte Land­strom, bedeutet, ich beziehe Strom von einem externen Anschluss. Dem Camping- und Wohnmobil-Boom sei Dank, bieten Bauern­höfe sowie private Anwesen diesen Service vermehrt an. Gerade letz­tere haben das Poten­tial der Camper entdeckt. Immer öfter finde ich neben Strom, Frisch­wasser und Duschen ganze Wellness-Oasen vor: da hat man Hotpods, Jacuzzis und Saunas einge­baut, entweder in den Haus­keller oder einer eigens dafür erstellten Holz­hütte vor dem Haus. Man fährt also auf den Stell­platz (= Park­platz für Wohn­mo­bile), mietet die Sauna, bleibt eine Nacht und fährt dann weiter. Ähnliche Modelle bieten auch diverse Restau­rants an: ihre gross­zü­gigen Gäste­park­plätze werden kurz­fristig zu Stell­plätzen, auf denen das «Wohnmobil-Dinner» in den eigenen vier Wänden serviert wird. Eine Win-Win Situa­tion: Für die Camper ein sicherer Schlaf­platz und Strom, für die Restau­rant­be­treiber etwas in die Kasse. Gerade sie gehören zu einem der Wirt­schafts­zweige, die von der Pandemie arg gebeu­telt wurden. Die letzte Vari­ante, Strom zu erzeugen, ist das Auto­fahren selbst. Die Auto­bat­terie speist dann die Zweit­bat­terie, an der alle Geräte im Wohn­raum ange­schlossen sind. Dass diese Batte­rien getrennt vonein­ander laufen, ist unter Umständen lebens­wichtig. Sollte ich bei ‑20 Grad nicht mehr genü­gend «Saft» in der Zweit­bat­terie haben, um die Heizung zu betreiben, kann ich trotzdem noch den Motor starten und losfahren. Verkal­ku­liere ich mich in der Wahl der Möglich­keiten, sitze ich offline, frie­rend und ohne Licht da. Was in den «Büssli-Ferien» ein Aben­teuer ist, bedeutet für mich nicht erwünschter Nervenkitzel.

«Ich empfand meine Wohnung als zu gross und zu starr. Ich suchte das Gefühl von Frei­heit und Selbstbestimmtheit.Ich wollte mir den Luxus leisten, mit weniger zu leben.»

Planung ist das halbe Leben

Arbeits­be­ginn. Meine Sitz­bank ist Büro­stuhl, Lounge und Stau­raum für den Wasser­tank zugleich. Während wir in unserem Team via Skype die Tages­themen und die laufenden Projekte bespre­chen, wird unter mir das Wasser in den Boiler gepumpt. Alltäg­li­ches Thema für mich: Haus­halts­ar­beiten planen. Ein so kleiner Raum ist zwar schnell zu reinigen – aber genauso schnell sieht es aus wie im Schwei­ne­stall. Möchte ich nach dem Meeting noch kurz den Abwasch erle­digen, muss ich vorher das Wasser 15 Minuten lang erwärmen.

Mein Tank fasst 80 Liter. Damit koche, putze und dusche ich für drei Tage, ohne nach­zu­füllen. Zum Vergleich: Wer ein Bad nimmt, verbraucht auf einmal 150–180 Liter. Wir alle wissen, wie wert­voll Wasser ist. Nur selten verschwenden wir jedoch einen Gedanken daran, wie unser Trink­wasser aufbe­reitet wird. Damit wöchent­lich konfron­tiert zu werden, war auch für mich eine Umstel­lung. Nicht immer finde ich zuver­läs­sige, saubere Quellen, wes­wegen mein Tank mit Sieben versehen ist, die Silber-Ionen abgeben. Sie filtern uner­wünschte Partikel aus und elimi­nieren Bakte­rien. Trotzdem plane ich meine Routen so, dass ich an offi­zi­eller Stelle frisches Wasser auffüllen kann. Gerade im Ausland hat mir das so manche Magen­ver­stim­mung erspart. Eben­falls einbe­rechnen muss ich Abwas­ser­sta­tionen: mein Grau­wasser verschwindet nicht mehr einfach im Abfluss. Ich sammle es in einem grossen Auffang­tank am Unter­boden des Fahr­zeuges, der ca. ein Mal die Woche geleert werden muss. Es einfach in die Erde versi­ckern zu lassen, wäre – zu Recht! – strafbar. Gerade im Winter ist das Risiko hoch, dass die Leitungen gefrieren. Daher mische ich das Trink­wasser mit etwas Salz und gebe dem Abwasser Frost­schutz bei. Für die Natur wäre das hochgiftig.

Waschtag ist für mich Besuchstag: In der Schweiz bei der Familie, Freunden sowie Camping- oder Stellplatz-Betreibern. Im Ausland suche ich, ganz altmo­disch, Wasch­sa­lons auf. In normalen Zeiten ist das relativ einfach. Zu Zeiten von reso­luten Lock­downs und Verord­nungen, hatte das Sauber­halten meiner Klei­dung jedoch eben­falls Einfluss auf die Routen­pla­nung: Ich sah mich teil­weise gezwungen, alles in eine grosse, natür­lich unbe­nutzte, Vieh-Futtertonne zu stecken, diese mit Wasser und Wasch­mittel zu füllen, in die Mitte des Wohn­mo­bils zu legen und einen Pass rauf- und runter­zu­fahren. Der gute alte Schleu­der­gang, sozusagen.

Kurzum: Ohne das Kontrol­lieren von prognos­ti­zierten Sonnen­stunden via App, ohne das Kalku­lieren meines tägli­chen Verbrauchs und – ganz profan – ohne ausrei­chende Inter­net­ver­bin­dung, wäre dieses Nomaden­leben nicht mit einer Fest­an­stel­lung vereinbar. Jeder alltäg­liche Schritt ist für mich eine Spur zeit- und planungs­intensiver. Und für alle, die verklä­rende Bilder von Reisenden in ihren Vans und Wohn­mo­bilen sehen: das sind Moment­auf­nahmen. Momente, für die man diesen Alltag gerne in Kauf nimmt. Aber ein Moment dauert laut Defi­ni­tion genau 90 Sekunden – deshalb empfehle ich allen, die in diesen Bildern die grosse Frei­heit sehen, über die rest­li­chen 86’310 Sekunden des Tages genau nachzudenken.

«Für alle, die verklä­rende Bilder von Reisenden in ihren Vans und Wohn­mobilen sehen: das sind Momentaufnahmen.»

«To go» mit Tücken

Home-Office heisst in meinem Fall: ein Office to go. Habe ich den Haus­halt und die Routen im Griff, geniesse ich über den Rand meines Laptops hinweg meist eine wunder­bare Aussicht. «Wo bist du denn heute?», ist eine alltäg­liche Frage im Team­mee­ting. Und der Frage, wie produktiv wir alle im Home-Office arbeiten, widmen sich mitt­ler­weile ganze Studien. Die Ergeb­nisse decken sich mit meinem Empfinden: der ausblei­bende Arbeitsweg und die relativ flexible Zeit­ein­tei­lung verschaffen mir wert­volle, zusätz­liche Stunden am Tag. Diese wiederum moti­vieren, konzen­triert einige Stunden am Bild­schirm zu arbeiten. Natür­lich weicht mein Alltag auch da etwas von der Norm ab: manchmal, da rollt selbst mein Bild­schirm während eines Skype-Telefonats. So geschehen, als mir die Bremsen blockierten und ich im Beifah­rer­sitz des Abschlepp­dienstes versuchte, dem Meeting zu folgen. Die Frage war nicht «seht ihr mich?», sondern «ruckelt es zu fest?». Gerade im Sommer und dem lauen Spät­herbst liebe ich es, draussen zu arbeiten. Ich kenne dafür, nicht über­trieben, die besten Plätze – beinahe schweiz­weit. Doch solch schöne Arbeits­plätze haben ihren Preis: sie sind öffent­lich. Am Anfang unter­teilte ich in zwei Stör­fak­toren: Mütter mit schrei­enden Kindern und aufdring­liche Neu­gierige. Im Herbst 2021 kam dann eine dritte Grup­pie­rung hinzu: Gemein­de­ar­beiter. Einer davon zele­brierte, während ich geschäft­lich skypte, einen unüber­hör­baren Gast­auf­tritt. Leuch­tend orange bekleidet und mit Laub­bläser bewaffnet, arbei­tete er seelen­ruhig hinter mir, während mein Arbeits­kol­lege bereits verwun­dert im Chat fragte, ob ich bei laufender Kamera einen Schlag­an­fall hätte. Ich hatte mein Ohr an die Laut­spre­cher des Laptops gequetscht, da selbst die Kopf­hörer nicht mehr gegen den Lärm ankamen. Leider verge­bens. Ich bat um Unter­bre­chung, wech­selte den Platz und hatte gerade mal zehn Minuten, bis Stör­faktor Nummer eins auftauchte. Nur ohne Mütter – ein Kinder­garten hatte Pause und ich sass auf der Bank neben ihrem Spiel­platz. Trotzdem stimmt mein Fazit mit dem überein, was die Statis­tiken schweiz­weit ergeben: das Home-Office hat keinen nega­tiven Einfluss auf den Arbeits­ein­satz und die Produk­ti­vität. Ich muss mir meine nur manchmal etwas härter erkämpfen. Die Beispiele zeigen auch: Diese Tücken gebe ich oft eins zu eins an mein Team weiter. Sie haben Auswir­kungen auf meine Erreich­bar­keit und manchmal leider auch auf meine Konzen­tra­tion. Umso glück­li­cher kann ich mich schätzen, in meinem Team und bei meinem Chef auf viel Tole­ranz und Verständnis zu treffen.
Das allmor­gend­liche Teammeeting

«Warum lebst du so?»

Ist eine der meist­ge­stellten Fragen, die ich zu hören bekomme. Vorneweg: Die Suche nach der Frei­heit ist es nicht mehr. Die zerschellte sehr schnell an der Realität. Ich bezahle zwar keine Miete mehr, dafür erstelle ich halbe Risi­ko­ana­lysen, bevor ich mein Wohn­zimmer irgendwo hinstelle. Ich kann, wann immer und wo immer ich will, laut Musik hören – nur wenn ich unauf­fällig bleiben will, ist das eher kontra­pro­duktiv. Da klopft keine Vermie­terin mehr, sondern die Polizei. Und nach Herzens­lust auf den Boden stampfen und auf irgend­welche Arma­tu­ren­bretter schlagen, ist keine Freude mehr, sondern Notwen­dig­keit. Irgendwo fällt immer eine Siche­rung raus oder ein Kabel hat einen Wackel­kon­takt. Doch genau das ist es, was mir auch Spass macht. Tagtäg­lich bin ich in irgend­einer Art gefor­dert, mein Leben kreativ zu meis­tern. Sei dies in einer Situa­tion, in der beide Auto­lichter ausfallen, und ich mangels Empfangs mit der Taschen­lampe auf dem Kopf einen Pass hinun­ter­fahren muss. Sei dies in der juras­si­schen Pampa, in der ich statt zwei Nächte, vier bleiben muss, weil der Anlasser sich verab­schiedet hat und die TCS-Hilfe mehr an Schnaps, als an Ersatz­teilen inter­es­siert war. Ich kann täglich wählen, wo ich morgens aufwache. Ich begegne Menschen, denen ich wohl nie über den Weg gelaufen wäre – und selbst wenn, hätten wir kein Wort gewech­selt. Gerade während dieser Pandemie geben mir meine rollenden vier Wände einen Rück­zugsort. Das Reisen ist für mich je länger je mehr sekundär. Das Leben im Wohn­mobil hat mir auf ganz wenigen Quadrat­me­tern eine komplett neue Welt eröffnet. Ich musste nur noch lernen, sie zu sehen.
Kein Tag wie der andere: So kann es sein, dass man bei Stell­plätzen auf Bauern­höfen manchmal direkt neben Kamelen landet. Diese besitzen in der Kehle einen soge­nannten Brüll­sack. Vor allem die männ­li­chen Tiere können damit während der Paarungs­zeit laute Schreie von sich geben – wild­ro­man­tisch, wenn man da direkt daneben steht.
Home Office mit selbst­ge­brautem Kaffee und guter Gesellschaft